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Besprechungen Hinweise Veröffentlichungen - Walter-Siegfried Kircher Constantin Maximilian Maria FĂŒrst v. Waldburg-Zeil-Trauchburg. In: Neue Deutsche Biographie. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27: Vockerodt - Wettiner, Duncker & Humblot / Berlin 2020, S. 287 - 289: Zeitlebens beklagte W. den durch SĂ€kularisation und Mediatisierung erlittenen Verlust der Reichsunmittelbarkeit und der Reichsstandschaft seines Hauses sowie die SchwĂ€chung der kath. Kirche. Obgleich nun Untertanen im neuen Kgr. WĂŒrttemberg, wo die Waldburger v.a. begĂŒtert waren, genossen die Mediatisierten Sonderprivilegien. W. engagierte sich seit 1830 in Zeitschriftenund ZeitungsbeitrĂ€gen (Allg. Rel.- u. Kirchenfreund u. Kirchencorrespondent, Hist.-Pol. Bll., Sion) fĂŒr den Erhalt der Adelsprivilegien, die UnabhĂ€ngigkeit der kath. Kirche und die Erlaubnis, kath. Presseorgane und Vereine in WĂŒrttemberg zu grĂŒnden. Scharfe Kritik ĂŒbte er an BĂŒrokratie und Staatskirchensystem in WĂŒrttemberg. Anfang der 1840er Jahre organisierte er in Kirchenfragen eine standesherrliche Einheitsfront gegen die Regierung sowie 1844/45 bei Landtagswahlen eine Adel, kath. Geistliche und oberschwĂ€b. Landbevölkerung umfassende Opposition. In Bayern förderte er um 1840 die Zeitschrift âFrĂ€nkischer Courierâ finanziell und veröffentlichte dort Artikel v.a. ĂŒber die kirchlichen VerhĂ€ltnisse in WĂŒrttemberg. In der bayer. ReichsrĂ€tekammer unterstĂŒtzte W. 1846 den kath.-konservativen Kurs von Innenminister Karl Rr. v. Abel (1788â1859). Offen bekannte er sich als âUltramontanerâ. Liberale Ideen und Forderungen verabscheute er prinzipiell, Revolutionen wie in Frankreich hielt er fĂŒr âAnarchieâ. Das Revolutionsjahr 1848, die drohende endgĂŒltige Ablösung der grundherrschaftlichen VerhĂ€ltnisse und damit der Verlust der privilegierten Adelsexistenz bewirkten eine spektakulĂ€re Wende W.s. Die zunĂ€chst von ihm geplante âgewaltsame Contrerevolutionâ gegen die liberale MĂ€rzbewegung mit Hilfe eines bewaffneten âantirepublikanischen, conservativen Erhaltungs-Vereinsâ fand keine AnhĂ€nger. EnttĂ€uscht vom Monarchen (Wilhelm I.) und isoliert von seinen Standesgenossen, setzte er seine Hoffnung auf die nationale Ebene, die Freiheit der kath. Kirche und die Zusammenarbeit mit den Demokraten. Der hochadelige Grundherr agierte 1848/49 als Vertreter des oberschwĂ€b. Wahlbezirks Biberach-Leutkirch im Vorparlament und in der Frankfurter Nationalversammlung, wo er fraktionslos konsequent mit den Linken stimmte: fĂŒr die Abschaffung des Adels, fĂŒr einen republikanischen PrĂ€sidenten und gegen einen regierenden dt. FĂŒrsten als Staatsoberhaupt sowie bei den Debatten um die Kirchenfrage zusammen mit der Ă€uĂersten Linken fĂŒr eine vollstĂ€ndige UnabhĂ€ngigkeit der Religionsgemeinschaften von der Staatsgewalt. 1849 gehörte W. dem Stuttgarter âRumpfparlamentâ, 1849/50 der verfassungsrevidierenden (ersten) und der verfassungsberatenden (dritten) Landesversammlung des Kgr. WĂŒrttemberg an. 1850/51 wurde er wegen âBeleidigung der Staatsgewaltâ auf der Festung Hohenasperg inhaftiert. Letztlich blieb W. seinen bereits um 1830 gewonnenen Ăberzeugungen treu, wonach sich die seit 1803/06 gegen den Adel gerichtete Politik der Monarchen und ihrer BĂŒrokratien nur durch ein BĂŒndnis des Adels mit dem âVolkâ gegen âdie Folgen des Liberalismusâ âcurierenâ lasse (unveröff. Tagebuch 1832, FĂŒrstl. W.-Z.âsches Gesamtarchiv SchloĂ Zeil). Aristokratie, Katholizismus, eine groĂdt., föderalistische Lösung der nationalen Frage mit EinschluĂ Gesamt-Ăsterreichs unter habsburg. Herrschaft und die Verwurzelung in der Region Oberschwaben blieben fĂŒr ihn Basis und Bezugspunkte.
Anregend und wundersam: Sehr lesenswert: spannend fundiert umfassend - und: Musik und Kunst und Tanz ist dabei Das Leben des als âSonnenkönigâ bekannt gewordenen Ludwigs XIV. von seiner Geburt 1638 ĂŒber die Auseinandersetzungen mit dem Kaiser , dem Parlament Frankreichs, dem Adel bis zum Krieg mit dem spanischen Weltreich. Der Verfasser beschreibt die âSelbstregierungâ des Königs, die französische Kriegsmaschine, den Hof von Versailles, die Frauen des Königs; das abschlieĂende Kapitel widmet sich dem âalternden Monarchen (1680-1715)â. zu Mark Hengerer: www.fnz.geschichte.uni-muenchen.de
Horst BrandstĂ€tter: Asperg - Ein deutsches GefĂ€ngnis. Der schwĂ€bische Demokratenbuckel und seine Insassen: Pfarrer, Schreiber, Kaufleute, Lehrer, gemeines Volk und andere republikanische Brut. Mit Abschweifungen ĂŒber Denunzianten und Sympathisanten in alter und neuer Zeit. AusfĂŒhrliche Besprechung (Walter-Siegfried Kircher), s. a. Der BĂŒrger im Staat, H. 1-2016, S.- 82-85 Buchbesprechungen Theodor HEUSS: Heuss-Briefedition der BundesprĂ€sident-Theodor-Heuss-Haus-Stiftung âTheodor Heuss. Der BundesprĂ€sident. Briefe 1949-1954â De Gruyter Verlag Berlin/Boston 2012. 684 Seiten, Ill.; Theodor Heuss, Stuttgarter Ausgabe. Briefe, hrsg. von der Stiftung BundesprĂ€sident-Theodor-Heuss-Haus. 39,80 Euro. Auf sechs BĂ€nde ist die auf acht BĂ€nde konzipierte Reihe der Briefe von Theodor Heuss mit dieser Edition gewachsen. Darin enthalten sind von Heuss selbst verfasste oder diktierte Dokumente aus seiner erster Amtsperiode, gesandt an âPersonen der Zeitgeschichte und Vertreter wichtiger Institutionenâ. Auswahlkriterium war, wie die Herausgeber formulieren, âdie biographische und zeitliche Relevanz der Schreibenâ. Sie sollen sein AmtsverstĂ€ndnis und seine AmtsfĂŒhrung deutlich machen. Dass sie sich mit den âgroĂen politischen Fragenâ der ersten Amtsperiode befassen, wundert nicht. DarĂŒber hinaus soll die Auswahl âdie Spannweite des Kommunikationsnetzesâ von Heuss zeigen. Wichtig ist den Herausgebern ferner, auch die âLebensumstĂ€nde von Theodor Heussâ, âseine Persönlichkeit, seinen Alltag, sein privates Umfeldâ sichtbar werden zu lassen (S. 65), deshalb sind Schreiben an die Familie, Verwandte und Freunde mit aufgenommen. Weiterlesen Die Herausgeber wĂ€hlten 245 von den etwa 20 000 Heuss-Briefen aus. Eine weitaus gröĂere Zahl ging im BundesprĂ€sidialamt ein, von September bis Oktober 1949 knapp 5000 Briefe, 1950 ca. 70 000, 1953 ca. 80 000. Zehn bis 15 Prozent davon wurden an Heuss weitergeleitet, im Schnitt verfasste er zehn bis zwölf Schreiben pro Tag, wie die Herausgeber ermittelten. Verschiedene Wege, sich ĂŒber die Briefe dem Amt und der Person des BundesprĂ€sidenten zu nĂ€hern, bieten die wie gewohnt wissenschaftlich fundierte EinfĂŒhrung der Herausgeber, das ĂŒbersichtliche chronologische Verzeichnis der Briefe, das ausfĂŒhrliche biographische Personen- sowie das thematisch gegliederte Sachregister. In den ersten Wochen des Jahres 1951 z. B. â Heuss war damals etwa 14 Monate im Amt â erhalten Post aus dem BundesprĂ€sidialamt: Der Maler Oskar Kokoschka, Albert Einstein, Veit Harlan, Regisseur der NS-Propagandafilme âJud SĂŒĂâ und âKolbergâ, ein 1945 bis 1947 inhaftierter ehemaliger General der Luftwaffe, John McCloy, Hoher Kommissar der USA in der Bundesrepublik Deutschland, Willi Daume, PrĂ€sident des Deutschen Sportbundes, Rudolf Alexander Schröder, Schriftsteller und Dichter, der ehemalige Reichskanzler Heinrich BrĂŒning, Elly Heuss-Knapp, Elisabeth Noelle-Neumann. Es geht u. a. um eine Befragung âĂŒber Persönlichkeit und Wirkung des BundesprĂ€sidentenâ, seine verfassungsrechtliche Stellung, ein Geburtstagsgedicht, den Text einer neuen Nationalhymne, um eine âBitte um UnterstĂŒtzung gegen öffentliche Boykottaufrufeâ, um FlĂŒchtlinge und Heimatvertriebene, die Begnadigung von zum Tode verurteilten Kriegsverbrechern, die erneute Mitgliedschaft eines aus Deutschland emigrierten Wissenschaftlers im renommierten Orden âPour le mĂ©riteâ, um die Ăbernahme der Schirmherrschaft ĂŒber den deutschen Sport. Die politischen Grundpositionen des BundesprĂ€sidenten sind bekannt: Er befĂŒrwortete die Politik der Westintegration, die Wiederbewaffnung bzw. Wehrpflicht â gegen eine Volksbefragung dazu hatte er âgrundsĂ€tzliche Bedenkenâ â , wie er ĂŒberhaupt in einer parlamentarischen Demokratie âdie Konkurrenz der plebiszitĂ€renâ fĂŒr âunrichtigâ hielt (an Martin Niemöller, 23. Mai 1951). Die deutsche Teilung bezeichnete er als âeine schwer ertrĂ€gliche, seelische Lastâ, die Wiedervereinigung Deutschlands âin nicht zu ferner Zeitâ hielt er fĂŒr möglich. âDas verbrecherische Regime des Nationalsozialismusâ ist eines der groĂen Themen der Korrespondenz, das Sachregister weist unter dem Stichwort âNationalsozialismusâ zahlreiche Hinweise aus von âAuswĂ€rtiges Amtâ bis âWiderstandâ. Die Aussöhnung zwischen Christen und Juden, zwischen der Bundesrepublik und Israel lag ihm besonders am Herzen. Vier der ausgewĂ€hlten Briefe befassen sich allein mit seiner in Wiesbaden 1949 bei einer Feierstunde der Gesellschaft fĂŒr christlich-jĂŒdische Zusammenarbeit gehaltenen Rede âMut zur Liebeâ. In ihnen setzt er sich mit Kritik und Zustimmung an seinem Bekenntnis zur âKollektivschamâ auseinander. Die deutsche Bevölkerung pauschal fĂŒr die NS-Verbrechen zu verurteilen (âKollektivschuldâ), lehnte Heuss bekanntlich ab: â... ist es nicht so, daĂ die Scham ein Weg zur SĂŒhne ist ...?â, schrieb er einer Kritikerin. Seine Rede zur Einweihung des Mahnmals im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen am 30. November 1952 fand viel Anerkennung, Kritiker warfen ihm jedoch vor, darin die Kollektivschuld-Anklage zu erneuern. Er lieĂ darauf antworten: â... daĂ Juden vernichtet und Kranke gemordet wurden, das haben schlieĂlich nur die Leute nicht gewuĂt, die sich in diesen bösen Jahren eine Idylle glauben gestatten zu können.â Heuss wandte sich, worauf die Herausgeber in ihrer EinfĂŒhrung hinweisen, frĂŒh gegen Tendenzen in der Bundesrepublik, die nationalsozialistischen Verbrechen zu verdrĂ€ngen, einen âSchlussstrichâ zu ziehen (S. 40), den Holocaust gegen die Opfer des Bombenkriegs, der Vertreibung, der Verbrechen der Siegertruppen aufzurechnen (S. 42). Es bedarf jedoch einer ErklĂ€rung, dass Heuss sich fĂŒr NS-Belastete, fĂŒr verurteilte Kriegsverbrecher und hohe ReprĂ€sentanten des NS-Staates verwandte. Den Hohen Kommissar Frankreichs in Deutschland, François-Poncet, bat er, die Haftbedingungen fĂŒr âdie in Spandau sitzenden Leuteâ verbessern zu lassen, besonders fĂŒr Konstantin Freiherrn von Neurath, der als Hauptkriegsverbrecher in NĂŒrnberg zu 15 Jahren GefĂ€ngnis verurteilt worden war. John McCloy gegenĂŒber gab er seiner âBetrĂŒbnis Ausdruck ..., dass Herr von WeizsĂ€cker immer noch inhaftiert ist, ... nach meiner inneren Ăberzeugung hier ein Fehlurteil vorliegtâ. Der ehemalige StaatssekretĂ€r im AuswĂ€rtigen Amt wurde wenige Wochen spĂ€ter begnadigt. Auch fĂŒr Alfried Krupp, zu zwölf Jahren Haft und Vermögensentzug verurteilt, hielt Heuss eine Begnadigung angebracht. Die Herausgeber erklĂ€ren mit Hinweisen auf neuere Forschungen, diese âVergangenheitspolitikâ sei âsymptomatisch fĂŒr die frĂŒhe Bundesrepublikâ gewesen und von Politik und Bevölkerung breit unterstĂŒtzt worden. Besonders dann hĂ€tten die Verurteilten mit âNachsicht und UnterstĂŒtzung ... bis in die Staatsspitze rechnenâ können, âwenn sie (bildungs-)bĂŒrgerlicher Herkunft waren und es ihnen gelang, ihre Taten als Ausdruck eines politischen Irrtums erscheinen zu lassen ...â (S. 46). Hier spiegeln die Briefe die Neigung von Heuss wider, den Nationalsozialismus zu personalisieren, âden er vor allem auf eine kleine Elite von TĂ€tern und VerfĂŒhrern beschrĂ€nkteâ. Die Mehrheit der Deutschen sah er als âVerfĂŒhrteâ (S. 42). Eingliederung möglichst vieler Personen und Gruppierungen in die demokratische Entwicklung der jungen Republik war ein wichtiges Ziel der AmtsfĂŒhrung des BundesprĂ€sidenten Heuss. Traditionen sollten wieder belebt oder weitergefĂŒhrt werden. Zu der damit zusammenhĂ€ngenden âSymbolpolitikâ des BundesprĂ€sidenten gehörten u. a. die Ehrung erfolgreicher Sportlerinnen und Sportler mit dem Silbernen Lorbeerblatt, die EinfĂŒhrung des Bundesverdienstordens, die Erneuerung des Ordens âPour le mĂ©riteâ (Friedensklasse), die WeiterfĂŒhrung des Volkstrauertags und auch der letztlich gescheiterte Versuch, eine neue Nationalhymne einzufĂŒhren â etwa zwölf Schreiben befassen sich mit diesem Thema. Den Widerstand der Verschwörer des 20. Juli und der Mitglieder der âWeiĂen Roseâ, damals noch höchst umstritten, gedachte Heuss als âErzieher zur Demokratieâ im Sinne einer âpositiven Gedenktraditionâ zu thematisieren. Nicht in allen FĂ€llen war Heuss gewillt, an Traditionen festzuhalten oder neue zu begrĂŒnden. So weigerte er sich, Bayreuth und die Richard-Wagner-Festspiele zu besuchen, âden Spuren des Herrn Hitler auf den FesthĂŒgel und nach Wahnfriedâ wollte er nicht folgen. Die Idee, ihm die Schirmherrschaft fĂŒr das Hambacher Fest zu ĂŒbertragen, das als lokales Volksfest geplant war, lehnte er ebenfalls ab. Er sah die Gefahr âdaĂ das bedeutende geschichtliche Pathos des Jahres 1832 nach einiger Zeit aufgebraucht sein wĂŒrdeâ. Was erzĂ€hlen die Briefe an weniger Bekanntem? Nur wenige Beispiele von vielen: Heuss rĂ€t Kurt Schumacher âsehr intensivâ, eine wissenschaftliche Biographie ĂŒber August Bebel zu verfassen. Den spĂ€teren Verteidigungsminister Blank machte er auf âLâarmĂ©e nouvelleâ, das Buch des 1914 ermordeten französischen SozialistenfĂŒhrers Jean JaurĂšs - fĂŒr Heuss âein groĂer Mannâ â aufmerksam. Ablehnend beschied er die Presseanfrage, eine Bildreportage âEin Tag beim BundesprĂ€sidentenâ zu machen. Keine Heuss-Edition ohne Humorvolles: Mit einem eigenen Gedicht reagierte er, als auf sein âDicker-Werdenâ angespielt wurde: â... stellt ein Durchschnittsschicksal dar, / bei dem der BundesprĂ€sident / sich nicht von seinem Volke trennt.â Und was es mit dem bekannten Schlager âder Theodor, der Theodor, der steht bei uns im FuĂballâ bzw. âim Bundestorâ genau auf sich hat, erfĂ€hrt man ausfĂŒhrlich in einem Schreiben an den Direktor der Stuttgarter Staatsgalerie. FĂŒr Heuss war seine Korrespondenz, wie die Herausgeber betonen, neben Reden und Publizistik âeines seiner zentralen Kommunikationsmittelâ, ein âMittel der AmtsfĂŒhrungâ. In einem Brief an einen Freund Ă€uĂerte er sich 1953 selbst zum Thema âFunktion des BundesprĂ€sidentenâ und seiner AmtsfĂŒhrung. In den ersten ein, zwei Jahren habe er diese âprogrammatisch unter das Stichwort ,Entkrampfungâ der Deutschen gestelltâ; bei âdem Staat gegenĂŒber sonst ziemlich fremdem Gruppen von Wissenschaftlern und KĂŒnstlernâ habe er âeine Wirkung erzielt (man nennt das heute Integration), die vor mir ein anderer Mann in verwandter Lage nicht erreicht habeâ. Den Inhalt des Schreibens bezeichnete er als âein Vademecum fĂŒr BundesprĂ€sidenten in der Mitte des 20. Jahrhundertsâ. Theodor Heuss. Der BundesprĂ€sident. Briefe 1949-1954. Auf sechs BĂ€nde ist die auf acht BĂ€nde konzipierte Reihe der Briefe von Theodor Heuss mit dieser Edition gewachsen. Darin enthalten sind von Heuss selbst verfasste oder diktierte Dokumente aus seiner erster Amtsperiode, gesandt an âPersonen der Zeitgeschichte und Vertreter wichtiger Institutionenâ. Auswahlkriterium war, wie die Herausgeber formulieren, âdie biographische und zeitliche Relevanz der Schreibenâ. Sie sollen sein AmtsverstĂ€ndnis und seine AmtsfĂŒhrung deutlich machen. Dass sie sich mit den âgroĂen politischen Fragenâ der ersten Amtsperiode befassen, wundert nicht. DarĂŒber hinaus soll die Auswahl âdie Spannweite des Kommunikationsnetzesâ von Heuss zeigen. Wichtig ist den Herausgebern ferner, auch die âLebensumstĂ€nde von Theodor Heussâ, âseine Persönlichkeit, seinen Alltag, sein privates Umfeldâ sichtbar werden zu lassen (S. 65), deshalb sind Schreiben an die Familie, Verwandte und Freunde mit aufgenommen. Die Herausgeber wĂ€hlten 245 von den etwa 20 000 Heuss-Briefen aus. Eine weitaus gröĂere Zahl ging im BundesprĂ€sidialamt ein, von September bis Oktober 1949 knapp 5000 Briefe, 1950 ca. 70 000, 1953 ca. 80 000. Zehn bis 15 Prozent davon wurden an Heuss weitergeleitet, im Schnitt verfasste er zehn bis zwölf Schreiben pro Tag, wie die Herausgeber ermittelten. Verschiedene Wege, sich ĂŒber die Briefe dem Amt und der Person des BundesprĂ€sidenten zu nĂ€hern, bieten die wie gewohnt wissenschaftlich fundierte EinfĂŒhrung der Herausgeber, das ĂŒbersichtliche chronologische Verzeichnis der Briefe, das ausfĂŒhrliche biographische Personen- sowie das thematisch gegliederte Sachregister. In den ersten Wochen des Jahres 1951 z. B. â Heuss war damals etwa 14 Monate im Amt â erhalten Post aus dem BundesprĂ€sidialamt: Der Maler Oskar Kokoschka, Albert Einstein, Veit Harlan, Regisseur der NS-Propagandafilme âJud SĂŒĂâ und âKolbergâ, ein 1945 bis 1947 inhaftierter ehemaliger General der Luftwaffe, John McCloy, Hoher Kommissar der USA in der Bundesrepublik Deutschland, Willi Daume, PrĂ€sident des Deutschen Sportbundes, Rudolf Alexander Schröder, Schriftsteller und Dichter, der ehemalige Reichskanzler Heinrich BrĂŒning, Elly Heuss-Knapp, Elisabeth Noelle-Neumann. Es geht u. a. um eine Befragung âĂŒber Persönlichkeit und Wirkung des BundesprĂ€sidentenâ, seine verfassungsrechtliche Stellung, ein Geburtstagsgedicht, den Text einer neuen Nationalhymne, um eine âBitte um UnterstĂŒtzung gegen öffentliche Boykottaufrufeâ, um FlĂŒchtlinge und Heimatvertriebene, die Begnadigung von zum Tode verurteilten Kriegsverbrechern, die erneute Mitgliedschaft eines aus Deutschland emigrierten Wissenschaftlers im renommierten Orden âPour le mĂ©riteâ, um die Ăbernahme der Schirmherrschaft ĂŒber den deutschen Sport. Die politischen Grundpositionen des BundesprĂ€sidenten sind bekannt: Er befĂŒrwortete die Politik der Westintegration, die Wiederbewaffnung bzw. Wehrpflicht â gegen eine Volksbefragung dazu hatte er âgrundsĂ€tzliche Bedenkenâ â , wie er ĂŒberhaupt in einer parlamentarischen Demokratie âdie Konkurrenz der plebiszitĂ€renâ fĂŒr âunrichtigâ hielt (an Martin Niemöller, 23. Mai 1951). Die deutsche Teilung bezeichnete er als âeine schwer ertrĂ€gliche, seelische Lastâ, die Wiedervereinigung Deutschlands âin nicht zu ferner Zeitâ hielt er fĂŒr möglich. âDas verbrecherische Regime des Nationalsozialismusâ ist eines der groĂen Themen der Korrespondenz, das Sachregister weist unter dem Stichwort âNationalsozialismusâ zahlreiche Hinweise aus von âAuswĂ€rtiges Amtâ bis âWiderstandâ. Die Aussöhnung zwischen Christen und Juden, zwischen der Bundesrepublik und Israel lag ihm besonders am Herzen. Vier der ausgewĂ€hlten Briefe befassen sich allein mit seiner in Wiesbaden 1949 bei einer Feierstunde der Gesellschaft fĂŒr christlich-jĂŒdische Zusammenarbeit gehaltenen Rede âMut zur Liebeâ. In ihnen setzt er sich mit Kritik und Zustimmung an seinem Bekenntnis zur âKollektivschamâ auseinander. Die deutsche Bevölkerung pauschal fĂŒr die NS-Verbrechen zu verurteilen (âKollektivschuldâ), lehnte Heuss bekanntlich ab: â... ist es nicht so, daĂ die Scham ein Weg zur SĂŒhne ist ...?â, schrieb er einer Kritikerin. Seine Rede zur Einweihung des Mahnmals im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen am 30. November 1952 fand viel Anerkennung, Kritiker warfen ihm jedoch vor, darin die Kollektivschuld-Anklage zu erneuern. Er lieĂ darauf antworten: â... daĂ Juden vernichtet und Kranke gemordet wurden, das haben schlieĂlich nur die Leute nicht gewuĂt, die sich in diesen bösen Jahren eine Idylle glauben gestatten zu können.â Heuss wandte sich, worauf die Herausgeber in ihrer EinfĂŒhrung hinweisen, frĂŒh gegen Tendenzen in der Bundesrepublik, die nationalsozialistischen Verbrechen zu verdrĂ€ngen, einen âSchlussstrichâ zu ziehen (S. 40), den Holocaust gegen die Opfer des Bombenkriegs, der Vertreibung, der Verbrechen der Siegertruppen aufzurechnen (S. 42). Es bedarf jedoch einer ErklĂ€rung, dass Heuss sich fĂŒr NS-Belastete, fĂŒr verurteilte Kriegsverbrecher und hohe ReprĂ€sentanten des NS-Staates verwandte. Den Hohen Kommissar Frankreichs in Deutschland, François-Poncet, bat er, die Haftbedingungen fĂŒr âdie in Spandau sitzenden Leuteâ verbessern zu lassen, besonders fĂŒr Konstantin Freiherrn von Neurath, der als Hauptkriegsverbrecher in NĂŒrnberg zu 15 Jahren GefĂ€ngnis verurteilt worden war. John McCloy gegenĂŒber gab er seiner âBetrĂŒbnis Ausdruck ..., dass Herr von WeizsĂ€cker immer noch inhaftiert ist, ... nach meiner inneren Ăberzeugung hier ein Fehlurteil vorliegtâ. Der ehemalige StaatssekretĂ€r im AuswĂ€rtigen Amt wurde wenige Wochen spĂ€ter begnadigt. Auch fĂŒr Alfried Krupp, zu zwölf Jahren Haft und Vermögensentzug verurteilt, hielt Heuss eine Begnadigung angebracht. Die Herausgeber erklĂ€ren mit Hinweisen auf neuere Forschungen, diese âVergangenheitspolitikâ sei âsymptomatisch fĂŒr die frĂŒhe Bundesrepublikâ gewesen und von Politik und Bevölkerung breit unterstĂŒtzt worden. Besonders dann hĂ€tten die Verurteilten mit âNachsicht und UnterstĂŒtzung ... bis in die Staatsspitze rechnenâ können, âwenn sie (bildungs-)bĂŒrgerlicher Herkunft waren und es ihnen gelang, ihre Taten als Ausdruck eines politischen Irrtums erscheinen zu lassen ...â (S. 46). Hier spiegeln die Briefe die Neigung von Heuss wider, den Nationalsozialismus zu personalisieren, âden er vor allem auf eine kleine Elite von TĂ€tern und VerfĂŒhrern beschrĂ€nkteâ. Die Mehrheit der Deutschen sah er als âVerfĂŒhrteâ (S. 42). Eingliederung möglichst vieler Personen und Gruppierungen in die demokratische Entwicklung der jungen Republik war ein wichtiges Ziel der AmtsfĂŒhrung des BundesprĂ€sidenten Heuss. Traditionen sollten wieder belebt oder weitergefĂŒhrt werden. Zu der damit zusammenhĂ€ngenden âSymbolpolitikâ des BundesprĂ€sidenten gehörten u. a. die Ehrung erfolgreicher Sportlerinnen und Sportler mit dem Silbernen Lorbeerblatt, die EinfĂŒhrung des Bundesverdienstordens, die Erneuerung des Ordens âPour le mĂ©riteâ (Friedensklasse), die WeiterfĂŒhrung des Volkstrauertags und auch der letztlich gescheiterte Versuch, eine neue Nationalhymne einzufĂŒhren â etwa zwölf Schreiben befassen sich mit diesem Thema. Den Widerstand der Verschwörer des 20. Juli und der Mitglieder der âWeiĂen Roseâ, damals noch höchst umstritten, gedachte Heuss als âErzieher zur Demokratieâ im Sinne einer âpositiven Gedenktraditionâ zu thematisieren. Nicht in allen FĂ€llen war Heuss gewillt, an Traditionen festzuhalten oder neue zu begrĂŒnden. So weigerte er sich, Bayreuth und die Richard-Wagner-Festspiele zu besuchen, âden Spuren des Herrn Hitler auf den FesthĂŒgel und nach Wahnfriedâ wollte er nicht folgen. Die Idee, ihm die Schirmherrschaft fĂŒr das Hambacher Fest zu ĂŒbertragen, das als lokales Volksfest geplant war, lehnte er ebenfalls ab. Er sah die Gefahr âdaĂ das bedeutende geschichtliche Pathos des Jahres 1832 nach einiger Zeit aufgebraucht sein wĂŒrdeâ. Was erzĂ€hlen die Briefe an weniger Bekanntem? Nur wenige Beispiele von vielen: Heuss rĂ€t Kurt Schumacher âsehr intensivâ, eine wissenschaftliche Biographie ĂŒber August Bebel zu verfassen. Den spĂ€teren Verteidigungsminister Blank machte er auf âLâarmĂ©e nouvelleâ, das Buch des 1914 ermordeten französischen SozialistenfĂŒhrers Jean JaurĂšs - fĂŒr Heuss âein groĂer Mannâ â aufmerksam. Ablehnend beschied er die Presseanfrage, eine Bildreportage âEin Tag beim BundesprĂ€sidentenâ zu machen. Keine Heuss-Edition ohne Humorvolles: Mit einem eigenen Gedicht reagierte er, als auf sein âDicker-Werdenâ angespielt wurde: â... stellt ein Durchschnittsschicksal dar, / bei dem der BundesprĂ€sident / sich nicht von seinem Volke trennt.â Und was es mit dem bekannten Schlager âder Theodor, der Theodor, der steht bei uns im FuĂballâ bzw. âim Bundestorâ genau auf sich hat, erfĂ€hrt man ausfĂŒhrlich in einem Schreiben an den Direktor der Stuttgarter Staatsgalerie. FĂŒr Heuss war seine Korrespondenz, wie die Herausgeber betonen, neben Reden und Publizistik âeines seiner zentralen Kommunikationsmittelâ, ein âMittel der AmtsfĂŒhrungâ. In einem Brief an einen Freund Ă€uĂerte er sich 1953 selbst zum Thema âFunktion des BundesprĂ€sidentenâ und seiner AmtsfĂŒhrung. In den ersten ein, zwei Jahren habe er diese âprogrammatisch unter das Stichwort ,Entkrampfungâ der Deutschen gestelltâ; bei âdem Staat gegenĂŒber sonst ziemlich fremdem Gruppen von Wissenschaftlern und KĂŒnstlernâ habe er âeine Wirkung erzielt (man nennt das heute Integration), die vor mir ein anderer Mann in verwandter Lage nicht erreicht habeâ. Den Inhalt des Schreibens bezeichnete er als âein Vademecum fĂŒr BundesprĂ€sidenten in der Mitte des 20. Jahrhundertsâ. Walter-Siegfried Kircher
Der Briefwechsel des BundesprĂ€sidenten Theodor Heuss mit der Bevölkerung nimmt in der âStuttgarter Ausgabeâ der Reihe der Briefe von Theodor Heuss eine besondere Stellung ein, wie die Herausgeber betonen. Es ist der erste Band mit Briefen aus seiner Amtszeit 1949-1959. Und im Unterschied zu den bislang erschienenen vier BĂ€nden aus den Jahren 1892 bis 1949 enthĂ€lt dieser Band nicht nur die Antworten des BundesprĂ€sidenten, sondern auch die jeweiligen Zuschriften aus der Bevölkerung. Diese formulierten ganz persönliche Anliegen, nahmen Stellung zur allgemeinen Politik und lobten oder kritisierten seine AmtsfĂŒhrung. In seiner EinfĂŒhrung kommentiert der Herausgeber dieses Bandes, Wolfram Werner, die weit gefĂ€cherten Themen der Briefe, die den BundesprĂ€sidenten tĂ€glich erreichten. Seine gesamte Briefproduktion wĂ€hrend der Amtszeit 1949 â 1959 wird auf 50 000 geschĂ€tzt. Wenn er nicht auf Reisen war, beantwortete er durchschnittlich circa 8 bis 14 Schreiben pro Tag. Da war es eine anspruchsvolle Aufgabe, die Briefauswahl so zu gewichten, dass möglichst viele und unterschiedliche Anliegen der Bevölkerung wie auch Heussâ jeweilige Reaktion sich im Band widerspiegeln. FĂŒr die vorliegende Edition wurden 204 Zuschriften und die jeweiligen Antworten des BundesprĂ€sidenten ausgewĂ€hlt, die er fast alle persönlich diktierte. Viele Briefschreiber reagierten auf den Inhalt seiner Reden und Ansprachen bei offiziellen AnlĂ€ssen, auf seine VortrĂ€ge, die auch in den Medien verbreitet wurden. Manche wandten sich mit ihren Anliegen an ihn, weil sie annahmen, er sei dafĂŒr zustĂ€ndig, könne sich dieser annehmen, sie gar entscheiden bzw. die EntscheidungstrĂ€ger beeinflussen. Ratsuchende, Ratgebende, Bittsteller griffen zur Feder. Es finden sich VorschlĂ€ge fĂŒr seine Kleidung, Tipps fĂŒr seine Ansprachen, Anregungen fĂŒr seinen Speisezettel. Themen der deutschen Geschichte, der Landes-, Bundes- und Weltpolitik bewegten die Briefschreiber: das Ende des Zweiten Weltkrieges, die Millionen von FlĂŒchtlingen und Vertriebenen, das VerhĂ€ltnis der Bundesrepublik zur DDR, die politischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen wie Westintegration, Wiederbewaffnung, WiederaufrĂŒstung und die Auseinandersetzung um den EVG-Vertrag, die mögliche Wiedervereinigung, die Kampagne âKampf gegen den Atomtodâ, der Aufstand vom 17. Juni 1953, Spruchkammerverfahren und Entnazifizierung, das Schicksal der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, der Umgang mit Kriegsverbrechern, Heussâ Staatsbesuche im Ausland, die FuĂballweltmeisterschaft 1954, die Wahlen und WahlkĂ€mpfe von 1953 und 1957, der Heusssche Vorschlag einer neuen Nationalhymne â um nur einige Themen zu nennen. Die Zuschriften sind eine wahre Fundgrube und spiegeln die unterschiedlichsten MentalitĂ€ten der damaligen westdeutschen Bevölkerung wider. Einige Beispiele fĂŒr persönliche Anliegen: VerstĂ€ndnisvoll antwortete Heuss einer jungen SchĂŒlerin aus Stuttgart, die sich dagegen wandte, bei seinem Besuch in Stuttgart 1949 auf Befehl des Kultministeriums und OberbĂŒrgermeisters âSpalier bildenâ zu mĂŒssen. Heuss konnte dies verhindern, es sollte bei jungen Menschen nicht der Eindruck erweckt werden, âso war es unter Hitler auchâ. Bei der Bundesfeier der Deutschen Jugend und des Deutschen Sports in Bonn 1949 verlor eine Sparkassenangestellte ein mĂŒhsam finanziertes und vom Vater gebautes Boot; Heuss sorgte dafĂŒr, dass ihr der Betrag von 50 DM angewiesen wurde. Der Abt einer kriegsgeschĂ€digten Abtei lieĂ dem BundesprĂ€sidenten eine Flasche des in der Abtei produzierten KrĂ€uterlikörs zusenden und hoffte dadurch auf âEinfĂŒhrung unseres Likörs in die höheren und höchsten Kreiseâ; Heuss lieĂ humorvoll antworten, er persönlich ziehe schĂ€rfere GenĂŒsse vor, der âLikörkonsum im PrĂ€sidialhaushaltâ sei gering. Freundlich reagierte Heuss auf eine Sendung der 1953 auf den Markt gebrachten Marke Hengstenberg Mildessa (mildes Wein-Sauerkraut) und merkte an, dass sich seine SchwĂ€gerin, die seinen Haushalt fĂŒhre, darĂŒber freuen werde. Ein âgeborenes SchwabenmĂ€dleâ, das sich um seine ErnĂ€hrung und Gesundheit sorgte, die Atempausen wĂ€hrend seiner Reden auf einen âbedrĂ€ngten ... Brustkorbâ und ein âĂŒber GebĂŒhr belastetes Herzâ zurĂŒckfĂŒhrte und ihm Arztbesuche, eine Kur und fĂŒr âzu Hause eine richtige DiĂ€tköchinâ empfahl, erhielt eine sehr persönliche, ausfĂŒhrliche Antwort mit Hinweisen auf seine âzu geringe Bewegungâ, seine âKropfanlage ... in Kombination mit dem zu dicken Bauchâ und beruhigte sie, sein Herz sei in Ordnung. Zustimmung, aber auch Widerspruch erntete Heuss fĂŒr manche ĂuĂerung, auch fĂŒr ganze Reden, so etwa, als er 1949 das Wiederaufleben alter studentischer Korporationen kritisierte. Seine Sylvesteransprache 1950, in der Heuss eine kritische Bemerkung ĂŒber die Einstellung vieler Einheimischer zu den FlĂŒchtlingen gemacht hatte, provozierte viele Schreiber zu Hinweisen auf die eigene missliche Lage und den groĂen Einfluss des BHE, der politischen Organisation der FlĂŒchtlinge. Eine in derselben Ansprache von Heuss verlesene, von dem Dichter R. A. Schröder verfasste neue Nationalhymne stieĂ auf breite Kritik, fĂŒhrte zu unfreundlichen Kommentaren (â... wird Ihre Person der LĂ€cherlichkeit preisgebenâ), jedoch auch zu einer FĂŒlle von GegenvorschlĂ€gen, die Heuss je nach Inhalt und Ton der Zuschriften mal knapp und scharf zurĂŒckweisen lieĂ, mal betont sachlich und ausfĂŒhrlich selbst beantwortete. Seine vielzitierte Rede âMut zur Liebeâ bei einer Feierstunde der Gesellschaft fĂŒr christlich-jĂŒdische Zusammenarbeit in Wiesbaden 1949, bei der er sich zur âKollektivschamâ der Deutschen bekannte, ebenso wie seine 1952 fĂŒr die Opfer des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gehaltene Rede zur Einweihung eines Mahnmals stieĂen auf geteilte Aufnahme. Den Vorwurf, er habe die These von der Kollektivschuld unterstĂŒtzt, erklĂ€rte er fĂŒr âabwegigâ, den Versuch, ihn zu âbelehren, daĂ es eine Kollektivscham nicht geben könneâ, wies er zurĂŒck. Auch die Debatten um die Neutralisierung Deutschlands, um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, Wehrdienstverweigerung und Wehrpflicht â Heussâ Ă€uĂerte öfters, diese sei âhistorischâ gesehen âdas legitime Kind der Demokratieâ â finden im Briefwechsel mit der Bevölkerung ihren Widerhall. Bei diesen Themen konnte Heuss ebenso wie bei Zuschriften, die den Nationalsozialismus und den Umgang mit ihm nach 1945 betrafen, auch sehr ungehalten reagieren. So antwortet er z. B. am Ende seiner zweiten Bonner Amtsperiode, 1959, einem Pfarrer aus TĂŒbingen, der in seinem Schreiben an den BundesprĂ€sidenten sich fĂŒr ein âwiedervereinigtes Deutschlandâ mit dem Status einer garantierten NeutralitĂ€tâ ausgesprochen und den westdeutschen Politikern vorgeworfen hatte, sie seien âKreaturen des Westensâ: â... daĂ wir, die wir uns Tag und Nacht bemĂŒht haben, dem deutschen Volk aus seiner Zerschlagenheit herauszuhelfen, uns ... nicht âKreaturen des Westensâ nennen lassen. Ich habe mich keinen Augenblick in meinem Leben als die Kreatur eines fremden Willens gefĂŒhlt und teile Ihnen mit landsmannschaftlicher Offenheit mit, daĂ ich diesen Teil Ihres Briefes fĂŒr eine anmaĂende UnverschĂ€mtheit halte.â Und âzum Kotzenâ fand er âdie gewerbstĂŒchtige Verkitschung einer Volkstragödieâ in deutschen Zeitschriften, die die nationalsozialistische Zeit in endlosen Fortsetzungsreihen verherrlichten und eine falsche Romantisierung betriebenâ, was âsehr wenig mit wissenschaftlicher Akkuratesseâ zu tun habe. Wir lernen in diesem Band den ersten BundesprĂ€sidenten kennen, wie er helfend, fĂŒrsorglich, aufmunternd, entgegenkommend, humorvoll, aber auch ablehnend, unwillig, grob, gereizt, belehrend, polemisch, ironisch reagiert, immer stilistisch brillierend und den eingegangenen Zuschriften angemessen. Wie bei den bisher erschienenen BĂ€nden auch, erleichtert ein detailliertes âVerzeichnis der Briefeâ sowie ein ausfĂŒhrliches Personen- und Sachregister die LektĂŒre. Die groĂe Zeitspanne, welche die Briefe umfassen, die vielfĂ€ltigen Themen, die differenzierten, auf Anliegen und Ton der Zuschriften abgestimmten Antworten des BundesprĂ€sidenten machen den Reiz und Wert des Briefwechsels aus. Walter-Siegfried Kircher
Theodor Heuss.Aufbruch im Kaiserreich. Briefe 1892-1917. 226 Briefe wurden fĂŒr diesen Band ausgewĂ€hlt, und zwar nach den Schwerpunkten Familie, Freundes- und Bekanntenkreis, journalistische und politische AktivitĂ€ten, ĂuĂerungen zu Fragen von Politik, Kunst, Kultur sowie zum Kriegsgeschehen 1914-1917 â eine vortreffliche Auswahl, denn darunter sind auch solche, die einen allgemein weniger bekannten, unbeschwerten, lebenslustigen, von sich selbst eingenommenen jungen Mann zeigen. Die meisten Briefe sind â ab 1905 - an seine Verlobte und Ehefrau Elly (Heuss-)Knapp, Tochter des in StraĂburg lehrenden Nationalökonomen Georg Friedrich Knapp, gerichtet. Sie heirateten 1908 in StraĂburg, getraut wurden sie von Albert Schweitzer. ... Die Briefe aus der Kaiserzeit gewĂ€hren Einblicke in (misslungene und erfolgreiche) Wahlkampagnen, in die liberalen Milieus, in die Mechanismen der Parteipolitik, der Kandidatenauslese, sie ermöglichen auch ĂŒberraschende Blicke auf Personen aus der Literatur-, Kunst- und Politikszene. Heussâ eigene politische Karriere auf Landes- und Reichsebene, an der er so sehr arbeitete, wollte aber, trotz seines groĂen Einsatzes, trotz seines Redetalents und seiner FĂ€higkeit, Menschen anzusprechen, nicht recht gelingen. Noch 1919 meinte Friedrich von Payer, als Heuss einen Listenplatz bei den wĂŒrttembergischen Linksliberalen fĂŒr die Wahl zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung beanspruchte: âKronprinze mĂŒesset warten könneâ. Mit dem System des Wilhelminismus, mit der Rolle des Kaisers setzt sich Heuss, das fĂ€llt auf, nicht grundsĂ€tzlich auseinander. Staatsnational ist Heussâ Haltung genannt worden, die bestehende Ordnung radikal in Frage zu stellen, war ihm fremd. Es ging ihm darum, sie weiterzuentwickeln durch die Demokratisierung der Wahlrechtsfrage und die weitere Parlamentarisierung der Reichsverfassung. Bei Kriegsausbruch sieht er, national eingestellt wie die groĂe Mehrheit, das Reich in der Defensive, die MĂ€chte der Entente als Angreifer, hĂ€lt den Krieg fĂŒr legitim, glaubt âan den Sieg der Truppen und an groĂe Erfolge der Flotteâ und befĂŒrwortet 1915 eine Verschiebung der Grenze gegen Osten. Naumanns Buch âMitteleuropaâ (1915) findet seinen groĂen Gefallen, er schlĂ€gt vor, eine âSchĂŒtzengraben- und Feldpostausgabeâ herstellen zu lassen, ... Walter-Siegfried Kircher Theodor Heuss.BĂŒrger der Weimarer Republik. Briefe 1918â1933. FĂŒr den zweiten Band der auf acht BĂ€nde angelegten Reihe âTheodor Heuss. Stuttgarter Ausgabe. Briefeâ wĂ€hlten die Herausgeber als ZĂ€suren nicht November 1918, die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik, nicht die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 31. Januar 1933, sondern einen biographisch-chronologischen Ansatz. Im Januar 1918 zog Heuss von Heilbronn zurĂŒck nach Berlin, er war er in die GeschĂ€ftsfĂŒhrung des Deutschen Werkbundes berufen worden, daneben ĂŒbernahm er die Schriftleitung der Zeitschrift âDeutsche Politikâ. Die ersten Briefe aus Berlin â an seinen Schwiegervater Georg Friedrich Knapp, Nationalökonom an der UniversitĂ€t StraĂburg, an seine Frau Elly Heuss-Knapp, an den Historiker Friedrich Meinecke â fĂŒhren hinein in die Kreise liberaler Bildungs- und WirtschaftsbĂŒrger, in die Welt der liberalen Presse. Der 34-jĂ€hrige Heuss nahm teil an den âMittwochsabendenâ des Historikers und Publizisten Hans DelbrĂŒck (Herausgeber der âPreuĂischen JahrbĂŒcherâ), wurde Mitglied der âDeutschen Gesellschaft 1914â, einer ĂŒberparteilichen Vereinigung politischer Prominenter in Berlin, die fĂŒr einen VerstĂ€ndigungsfrieden und die Parlamentarisierung des Deutschen Reichs eintraten. In den letzten der 229 ausgewĂ€hlten (von circa 1100 aufgespĂŒrten) Schreiben vom Dezember 1932/Januar 1933 machte sich Heuss u.a. Gedanken um den inneren Zustand der Deutschen Staatspartei, um die âHitlereiâ (â... dĂŒrfte bei ihrer gegenwĂ€rtigen Krise sich nicht mehr erholenâ), um die bĂŒrgerliche Mitte als kĂŒnftige StĂŒtze des Kabinetts von Schleicher und um die Frage des âpolitischen Erfolgesâ seines Mentors Friedrich Naumann. FĂŒr die Jahre 1918 bis 1933 bietet dieser Briefband eine wahre Fundgrube, versammelt eine FĂŒlle von Namen, Ereignissen, Informationen, Ăberlegungen. Heuss war ja auch Studienleiter und Dozent an der âDeutschen Hochschule fĂŒr Politikâ in Berlin (bis 1933), stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Auslandsdeutschen (bis 1932), von 1920 bis 1933 Bezirksverordneter von Berlin-Schöneberg, er hatte fĂŒr die DDP in GroĂ-Berlin ein Mandat als Stadtverordneter von 1929 bis 1933 inne. Er korrespondierte auĂer mit Familienmitgliedern und Verwandten mit Politikern, Diplomaten, Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Unternehmern und Gewerkschaftlern, Architekten, Geistlichen, Lehrern, RechtsanwĂ€lten. Es geht dabei um das preuĂische Dreiklassen-Wahlrecht, eigene und fremde Publikationen, um Glasmalerei, Kandidatenlisten, WahlkĂ€mpfe, Wahlergebnisse und Koalitionen, ParteigrĂŒndungen, um Autoren- und Rednerhonorare, um Beurteilung von Zeitungen, Zeitschriften, um BĂŒcher und RadiovortrĂ€ge, um AusflĂŒge, Einladungen und Reiseerlebnisse, um Republik und Reichswehr, um Zeugnisse seiner Studentinnen und Studenten, um Schule und PrĂŒfungen (seines Sohnes Ludwig), um eigene berufliche Perspektiven, um Hauskauf und Hausrenovierung, auch um WohnverhĂ€ltnisse und Nahrungsmittelversorgung. Die Novemberrevolution 1918, die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik lehnte Heuss zunĂ€chst spontan ab: âEin wĂŒster Tagâ, âMilitĂ€rsabotage des Kriegesâ, âunwĂŒrdige Kopie russischer Vorlagenâ. Heussâ prozesshafte Geschichtsauffassung bevorzugte die âAnnĂ€herungâ an ein parlamentarisches Regierungssystem als Nahziel. Nach dem politischen Umbruch sah er jedoch die Chance, die sich bot: einen verfassungspolitischen demokratischen Aufbau mit âneuen demokratischen AutoritĂ€tenâ zu schaffen. UnermĂŒdlich hielt er Reden und verfasste Artikel fĂŒr die parlamentarische Demokratie. Kritisch betrachtete Heuss, ganz in der Tradition der Liberalen des VormĂ€rz, die egalitĂ€re Demokratie, die âMassenherrschaftâ bedeute, nur Vertretern einer âParteiengesinnungâ zur Macht verhelfe und letztlich zu einem reinen Parteienstaat fĂŒhre. Immer wiede betonte er die Verbindung von Demokratie und Nationalgedanke, wenn er ĂŒber das zukĂŒnftige Deutschland schrieb. ... Die Briefe sollten nicht allein mit Blick auf 1933, auf den Niedergang der Weimarer Demokratie und den Aufstieg des Nationalsozialismus, gelesen werden. Bekannt ist, dass Heuss dessen ideologischen Bestandteile weitgehend durchschaute, wie seine 1932 veröffentlichte und 1968 mit einer Einleitung von E. JĂ€ckel neu herausgegebene historisch-politische Studie âHitlers Wegâ uns zeigt, ĂŒbrigens das erste einschlĂ€gige Buch zum Thema. Wenn Heuss als Abgeordneter der Deutschen Staatspartei wĂ€hrend einer Auseinandersetzung mit Goebbels, Göring und Strasser im Reichstag im Mai 1932 formulierte, die âAusstattung des Dritten Reichesâ bestĂŒnde vorwiegend aus âneulackierten und aufgeputzten LadenhĂŒtern der wilhelminischen Epocheâ, so wird hier die Grenze der Vorstellungskraft eines bĂŒrgerlichen Liberalen deutlich, denkt man an die von Hitler in âMein Kampfâ ausgesprochenen Vernichtungsszenarien. Trotzdem: HĂ€tte es in Politik, MilitĂ€r, Presse, Wirtschaft und Wissenschaft nach dem verlorenen Krieg mehr solcher Persönlichkeiten wie Heuss gegeben, die Weimarer Republik hĂ€tte gröĂere Chancen gehabt, an positive TraditionsstrĂ€nge wie Hambach und Paulskirche anzuknĂŒpfen und sich erfolgreich zu behaupten. In der vorzĂŒglich geschriebenen, von profunden Kenntnissen zeugenden EinfĂŒhrung erklĂ€rt der Bearbeiter und Herausgeber Michael Dorrman AnlĂ€sse, UmstĂ€nde und HintergrĂŒnde der Korrespondenz, informiert ĂŒber Briefpartner, gibt Hinweise auf vorhandene weitere Briefe sowie auf Werke von Heuss. ... Wer gezielt nach Personen sucht, nach LĂ€ndern, Orten, Ereignissen, Begriffen, Parteien, Vereinen, Gesetzen und Verordnungen, Verlagen, Zeitungen und Zeitschriften, die in den Briefen und den Kommentaren, in Vorwort, Zeittafel, EinfĂŒhrung, in den Kurzregesten vorkommen, wird schnell fĂŒndig: die BĂ€nde der Stuttgarter Ausgabe zeichnen sich aus durch ein umfassendes biographisches Personenregister und ein differenziertes stichwortartiges Sachregister. Der nĂ€chste Band âBriefe 1933-1945â ist bereits auf dem Markt und kann vielleicht die Frage beantworten, wie der liberale Politiker, der gebildete BĂŒrgerliche sich gegenĂŒber den Nationalsozialisten verhielt â wir wissen ja, dass Heuss, der mit seiner Fraktion im MĂ€rz 1933 dem ErmĂ€chtigungsgesetz zustimmte, von ihnen aus allen seinen Ămtern verdrĂ€ngt wurde. Walter-Siegfried Kircher Theodor Heus, Erzieher zur Demokratie. Briefe 1945 â 1949. Hrsg. und bearb. von Ernst Wolfgang Becker. Wenige Monate vor Kriegsende, am 13. Januar 1945, schilderte Theodor Heuss seinen Tagesablauf in einem Brief an den Journalisten und Schriftsteller Wilhelm Stapel: âWas ich treibe? Sehr viel. Um Âœ 7 Uhr rĂŒttle ich den Heizofen u. besorge ihn, dann steige ich von uns[erem]. HĂŒgel mit zwei Blechkannen in das Dorf Handschuhsheim herab u. hole fĂŒr einige Pfennige »entrahmte Frischmilch«, ich lĂŒfte und mache die Betten [...]. Dies alles nicht wegen einer spĂ€ten Leidenschaft zur bĂŒrgerlichen Idylle [...], sondern weil die gegenwĂ€rtige Weltgeschichte dem Herzen meiner Frau schlecht bekommt [...]. Manche meinten zu meinem 60. Geburtstag ich solle Erinnerungen niederschreiben; ich habe »Hemmungen«. [...] Die Jugend wĂ€re ja ganz reizvoll, [...] aber mein eigener Beitrag als » Handelnder« in der politischen Geschichte ist gering und rechtfertigt ein solches Unterfangen nicht.â Die beiden Daten, Mai 1945 und September 1949, markieren den zeitlichen Rahmen des Auftaktbands einer auf acht BĂ€nde projektierten Reihe mit Heuss-Briefen, der so genannten âStuttgarter Ausgabeâ. Sie wird herausgegeben von der Stiftung BundesprĂ€sident-Theodor-Heuss-Haus und enthĂ€lt zum gröĂten Teil bislang unbekannte und unveröffentlichte Briefe, Schriften, Reden und GesprĂ€chsnotizen. Die Periodisierung der einzelnen BĂ€nde orientiert sich an Heussâ Biographie sowie an bekannten Weichenstellungen der deutschen Geschichte von 1892 bis zu seinem Tod 1963. Die im vorliegenden Band âTheodor Heuss. Erzieher zur Demokratie. Briefe 1945-1949â veröffentlichten 219 Briefe (von etwa 1 500 erhaltenen aus dieser Zeit) sind von nicht zu unterschĂ€tzendem Wert. Heuss war nicht nur Briefschreiber, Biograph, politischer PĂ€dagoge. Gleich im Mai 1945 bekam er die Möglichkeit, seine seit 1905 kontinuierlich ausgeĂŒbte TĂ€tigkeit als Journalist (was er âvon Haus ausâ sei, so Heuss am Tag seiner Wahl zum BundesprĂ€sidenten zu einem Reporter der »Neuen Zeitung«â) wieder aufzunehmen: Die amerikanische Besatzungsmacht ĂŒbertrug ihm zusammen mit zwei weiteren Journalisten und Politikern (einem Kommunisten und einem Sozialdemokraten) die Lizenz fĂŒr die NeugrĂŒndung einer Zeitung (der âRhein-Neckar-Zeitungâ in Heidelberg). ... WĂ€hrend den Verfassungsberatungen im Parlamentarischen Rat 1948/49 (die FDP-Fraktion hatte ihn darin zu ihrem Vorsitzenden gewĂ€hlt) beeindruckte Heuss âdurch seine historischen und staatsrechtlichen Kenntnisse, durch seine anspruchsvolle Rhetorik und durch sein ausgeprĂ€gtes Talent zum Ausgleich zwischen festgefahrenen Positionenâ (Thomas Hertfelder). Es erweist sich als ein guter Griff der Verantwortlichen, an den Anfang der Gesamtausgabe die Edition der âBriefe 1945-1949â zu stellen, bieten sie doch eine FĂŒlle von spannenden, teils dramatischen Materialien zur Biographie von Theodor Heuss, zum familiĂ€ren Umfeld, zur Staats- und Gesellschaftsauffassung, zum DemokratieverstĂ€ndnis dieses liberalen, bildungsbĂŒrgerlichen Demokraten. Ediert sind: Reden und VortrĂ€ge bei Veranstaltungen und im Rundfunk, Bemerkungen zu Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchpublikationen, Notizen ĂŒber Auseinandersetzungen mit Vertretern der ostzonalen liberalen Partei; Briefe an Politiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Verleger, Architekten, US-MilitĂ€rs. Bekannte Namen befinden sich unter den Adressaten: Politiker wie Reinhold Maier, Paul Löbe, Konrad Adenauer, Johannes R. Becher, Carlo Schmid; Schriftsteller wie Alfred Döblin, Josef Eberle und Margret Boveri; Historiker wie Friedrich Meinecke und Willy Andreas; Verleger wie Peter Suhrkamp und Hermann Leins. Die umfangreiche private Korrespondenz mit seiner Frau, Elly Heuss-Knapp, und mit weiteren Familienangehörigen und Freunden zeigen den Anteil nehmenden Menschen Theodor Heuss. Ohne Wenn und Aber stellte sich Heuss dem âVerbrecherischenâ des Nationalsozialismus und der Haltung der Bevölkerung. âDie Deutschen [mĂŒssen] bei dem Wort Demokratie ganz von vorn anfangen im Buchstabieren...â, zitiert der Herausgeber des Auftaktbandes, Ernst Wolfgang Becker, in seiner profunden Einleitung Heuss aus seiner Rede in Berlin âUm Deutschlands Zukunftâ (MĂ€rz 1946), und wenn die Amerikaner dabei auf Denazifizierung und die Methode der Umerziehung von auĂen setzten, sprach und schrieb Heuss vom âWeg der Selbstreinigungâ und Erneuerung von innen. Nachsichtiger als andere war Heuss als Minister hie und da, wenn er etwa von Beamten aus der NS-Zeit um âDenazifizierungsbekundungenâ gebeten wurde; doch er verbĂŒrgte sich nur âfĂŒr wirklich ernste FĂ€lleâ, die ihm âsachlich und menschlich am Herzen liegenâ. In allen anderen FĂ€llen musste er âEnttĂ€uschungen am laufenden Band abgebenâ (Brief v. 27. Mai 1946). Buchbesprechung Vertriebene Kossert, Andreas: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Geschichten von deutschen Vertriebenen hielten nach 1945 schon frĂŒh Einzug in den Heimatfilm, fast immer mit dem Tenor, wie groĂartig die Integration gelungen sei. Dagegen sucht der Autor des vorliegenden Buches zu zeigen, wie wenig warm der Empfang in der neuen âHeimatâ war. Das sei lange verdrĂ€ngt worden und bis heute, so lautet eine der Grundthesen des Vf.s, nicht generell im kollektiven GedĂ€chtnis der deutschen Bevölkerung angekommen. Zwar avancierte etwa der Film âGrĂŒn ist die Heimatâ mit Brigitte Horney und Sonja Ziemann (die Tochter eines Wilderers, beide FlĂŒchtlinge aus Schlesien) sowie Rudolf Prack (als Förster) 1951 gleich zum Kassenschlager und erhielt den âBambiâ, doch K. bescheinigt dem Streifen, lediglich âbeschönigenden Integrationskitschâ zu bieten. Dagegen waren Streifen wie der 1959 gedrehte Film âNacht fiel ĂŒber Gotenhafenâ, der das Drama der âWilhelm Gustloffâ dramatisierte, beim Publikum nicht gefragt. Das zeige ein groĂes Dilemma der deutschen Nachkriegsgesellschaften: Im Westen wollte man sich nicht noch an ein weiteres UnglĂŒck, an die Schrecken und Verbrechen der Vertreibung erinnern, nachdem die Erinnerung an die von Deutschen begangenen Verbrechen noch so frisch oder zum Teil schon wieder verdrĂ€ngt war; wollte nicht erinnert werden an die Millionen Vertriebenen und dabei Umgekommenen, nicht erinnert werden an die Isolierung der FlĂŒchtlinge und Vertriebenen in der neuen Heimat. Der Wirtschaftsaufschwung integrierte die âBrĂŒder und Schwesternâ in die Arbeitswelt, was im RĂŒckblick die Illusion einer insgesamt geglĂŒckten Integration beförderte. K. spricht daneben von einem âdeutschen Rassismus gegen Vertriebeneâ. Menschen aus dem Osten waren schon seit langem traditionellen Vorurteilen ausgesetzt, galten als halbe Slawen oder wurden pauschal einer nationalsozialistischen Gesinnung bezichtigt und damit fĂŒr die Katastrophe mitverantwortlich gemacht. Es gab im Westen sogar Stimmen, die Flut von FlĂŒchtlingen könnte âunseren angestammten nordischen Charakterâ auslöschen und âunsere nordische VolkstĂŒmlichkeit ... biologisch ĂŒberfremdem, rassenmĂ€Ăig auslöschenâ. Man nannte die Ankommenden u.a. âFlĂŒchtlingsschweineâ, âKartoffelkĂ€ferâ, âPolackenâ, â40-kg-Zigeunerâ; sie wurden beschimpft als âentwurzeltâ, âasozialâ, âfaul und arbeitsscheuâ. Insgesamt konstatiert K. Deklassierung und soziale Isolation, auch weil sich nur wenige Einheimische fĂŒr die Geschichte der Ankömmlinge interessierten. In der DDR sei das Thema Flucht und Vertreibung mit RĂŒcksicht auf das verbĂŒndete Polen und die CSSR unterdrĂŒckt, in der Bundesrepublik gemieden worden. K. spricht von zwei unterschiedlichen Erinnerungskulturen; die eine erzĂ€hlt von Heimatverlust und Ausgrenzungserfahrung nach 1945, die andere, die der Aufnahmegesellschaft, empfand die Vertriebenen als âbiblische Plage aus dem Ostenâ. Vorherrschend jedoch war der Blickwinkel der Westdeutschen, die Perspektive der Vertriebenen fehlte meist oder fand wenig Beachtung. ... In den 1980er Jahren verĂ€nderte sich der Blickwinkel, und neben die Erfolgsgeschichte traten kritische Bilanzen, wurden die Opfer, ihre Schicksale, ihre Traumatisierung stĂ€rker wahrgenommen. Auch in den Medien und beim Publikum ist ein gröĂeres Interesse am Thema Flucht und Vertreibung festzustellen. Dokumentationen wie zuletzt âDie Vertriebenen. Hitlers letzte Opferâ (ZDF), âDie groĂe Flucht. Das Schicksal der Vertriebenenâ (ARD), âDie Gustloffâ (ZDF) sowie der Spielfilm âDie Fluchtâ (2007) zeigen dies. Aber erst dann, so K., wenn auch die âseelische Dimensionâ der Vertreibung sowie der schwierigen Assimilation in die aufnehmende Gesellschaft ins Bewusstsein aller Deutschen gekommen sei, wenn der âgewaltsame Heimatverlust eines FĂŒnftels der deutschen Bevölkerung als allgemeiner Verlust empfundenâ werde, könne von einer erfolgreichen Integration â statt einer bĂŒrokratischen verordneten und nur materiell gelungenen Assimilation â die Rede sein. [...] [...] Walter-Siegfried Kircher Siehe auch: âgeschichte fĂŒr heuteâ 3/2009, S. 127-130, Wochenschau-Verlag |